Erbe als Verantwortung: «Deine Probleme möchte ich auch haben!»

back to Perspectives
07/2025

«Deine Probleme möchte ich auch haben!»

Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel erwartet – so lautet ein alter Satz mit neuer Aktualität. Gerade Kinder aus vermögenden Familien sehen sich oft mit einem subtilen, aber massiven Druck konfrontiert: Macht was draus – aber macht es richtig.

Von aussen betrachtet mag es wie ein Privileg wirken, in eine Unternehmer- oder Investorenfamilie hineingeboren zu werden. Doch was bedeutet es wirklich, in eine Welt voller Möglichkeiten hineinzuwachsen – in der aber viele Wege bereits vorgezeichnet scheinen?

Diesen Fragen sind Jorge Frey und Eugen Stamm in ihrem neuen Buch «Erbe als Verantwortung» (NZZ Libro, erscheint im August 2025) nachgegangen. Aufbauend auf ihrem Erstling «Von Geld und Werten» (2019), in dem sie die Sicht der übergebenden Generation beleuchtet haben, lassen sie nun die nächste Generation zu Wort kommen. Dreissig Nachkommen vermögender Familien erzählen darin, wie es sich wirklich anfühlt, in dieser Welt erwachsen zu werden – mit all ihren Chancen, Ambivalenzen und Brüchen.

Ein Beispiel daraus: Claras Geschichte.

Wenn Erwartungen und Realität kollidieren

Clara (Name geändert) ist die Tochter eines erfolgreichen Schweizer Unternehmers. Während ihre Schwester andere Wege ging, war für Clara früh klar: Sie will das Familienunternehmen übernehmen. Sie studierte Betriebswirtschaft, arbeitete während des Studiums im Betrieb mit, sammelte Auslandserfahrung – und kehrte mit einem Plan zurück.

Clara baute im Unternehmen ihres Vaters eine neue Abteilung für Digitalisierung und Prozessmanagement auf. Alles schien gut zu laufen – bis ihre Entscheidungen nicht mehr allen gefielen. Insbesondere langjährige Mitarbeitende, die vor allem dem Vater loyal gegenüberstanden, begannen gegen sie zu arbeiten. Der Vater – Alleinaktionär, charismatisch, entscheidungsstark – stand nicht hinter ihr. Konflikte eskalierten.

Clara wollte nicht kampflos aufgeben. In Absprache mit ihrem Partner und einem Berater entwickelte sie einen klaren Stufenplan zur Unternehmensnachfolge. Der Vater stimmte zu – zunächst. Doch je näher der vereinbarte Übergabetermin rückte, desto mehr zog er sich zurück. Am Ende kam es zum Bruch: Ein Brief mit tiefen Vorwürfen und dem Rückzug vom Deal. Clara war fassungslos.

Sie ging. Gemeinsam mit ihrem Lebenspartner gründete sie ein eigenes Unternehmen. Sie bekamen ein Kind.

Erst Jahre später, als der Vater schwer erkrankte und das Unternehmen in Schieflage geriet, kam die Wende. Er bat Clara, als Verwaltungsrätin zurückzukehren. Sie knüpfte Bedingungen daran – und übernahm schrittweise die Führung. Nach dem Tod des Vaters leitete Clara das Unternehmen so, wie sie es für richtig hielt – mit Erfolg und Rückhalt. Ihre Schwester trat dem Verwaltungsrat bei.

Das Vermögen verlangt Haltung

Claras Geschichte ist kein Einzelfall. Sie steht exemplarisch für viele Dynamiken, die wir in Unternehmer- und Investorenfamilien immer wieder beobachten: Hohe Erwartungen treffen auf komplexe Emotionen, vererbte Strukturen auf individuelle Lebensentwürfe.

Erbe ist nicht nur ein Privileg. Es ist auch eine Projektionsfläche – für Werte, Ängste, Hoffnungen und unausgesprochene Konflikte. In Familien wie der von Clara geht es um mehr als Vermögen. Es geht um Identität, um Gestaltungsmacht – und um das Ringen, im richtigen Zeitpunkt loszulassen.

Was bleibt?

Claras Geschichte zeigt: Manchmal braucht es Distanz, um später wieder Nähe zu ermöglichen. Und manchmal sind es gerade die Umwege, die zu einem tragfähigeren, neuen Miteinander führen.

Im Buch «Erbe als Verantwortung» erzählen Jorge Frey und Eugen Stamm von weiteren Nachfolgerinnen und Nachfolgern, die eigene Wege gehen – und dabei mit den unausgesprochenen Erwartungen ihrer Familien ringen.

Das Buch der Autoren Jorge Frey und Eugen Stamm erscheint im August im NZZ Libro Verlag.

Jorge Frey

Head Family Governance, Senior Partner