Tagesanzeiger Interview mit Jorge Frey

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10/2025

Jorge Frey berät vermögende Familien beispeziellen Heraus­forderungen. Erben sei komplex, sagt der Fachmann underklärt, wie man einen Erbstreit verhindert.

 

Jährlich werden in der Schweiz rund 100Milliarden Franken vererbt. Das fordert nicht nur das Prinzip derChancengleichheit heraus, sondern auch viele reiche Familien. Das weiss kaumjemand besser als Jorge Frey. Er hat die Zürcher Firma Marcuard mitaufgebaut,die als sogenanntes Family Office über 40 vermögende Familien betreut.Gemeinsam mit dem Journalisten Eugen Stamm hat Frey zwei Bücher zum Themageschrieben, zuletzt «Erbe als Verantwortung». Dafür sprach er mit über 30Erben.

 

Herr Frey, für viele wäre Millionenerbeein Traumberuf. Zu Recht?

Es ist sicher ein riesiges Privileg. Aberein solches Vermögen kommt mit grossen Herausforderungen. Erben ist komplexer,als man meint.

 

In Ihrem Buch sagt eine Erbin: «DieLeistung im Erben liegt nicht in der Arbeit, sondern im Erdulden von Dingen.»Was muss man als Millionenerbin erdulden?

Zum Beispiel das Stigma, mit demSilberlöffel auf die Welt gekommen zu sein. Die eigene Leistung wird selteneranerkannt, weder von den anderen noch von den Eltern.

 

Warum?

Fremde schieben alles auf das Vermögen derFamilie. Die Eltern hingegen vergleichen einen immer mit sich selbst – vorallem, wenn sie es waren, die das Vermögen erarbeitet haben. Dem können diewenigsten standhalten. Dazu kommt, dass die Eltern oft kaum zu Hause sind.

 

Auch Bauarbeiter und Reinigungskräftesind kaum zu Hause.

Das stimmt natürlich. Das finanziellePrivileg von reichen Familien mag ein Trostpflaster für die Absenz der Elternsein, das andere nicht haben.

 

Sie unterstützen reiche Familien imUmgang mit ihrem Vermögen. Wie sollen sie ihren Nachwuchs erziehen?

Wir empfehlen, ein möglichst normales Lebenvorzuleben, Kinder in die öffentlichen Schulen zu schicken, Freundschaftennicht vom Kontostand abhängig zu machen und mal mit einem Sommerjob eigenesGeld zu verdienen. Sie sollten Teil der Gesellschaft sein und ihren Reichtumnicht zur Schau stellen. Das macht die Kinder weniger abhängig von den Eltern.

 

Wie meinen Sie das?

Selbst wenn die Kinder Maschinenbaustudieren und einen guten Job haben, verdienen sie vielleicht einen Bruchteilvon dem, was die Eltern einnehmen. Sind sie von zu Hause einen aufwendigenLebensstil gewohnt, können sie diesen nicht aufrechterhalten. Sie sindangewiesen auf Unterstützung der Eltern, obwohl sie schon lange erwachsen sind.Das halte ich für problematisch.

 

Oft sterben und vererben die Elternerst, wenn die Kinder selbst schon pensioniert sind. Ergibt das Sinn?

Nicht wirklich. Wir sagen unseren Familiendeshalb, dass sie ihre Kinder lieber schon früher in die Verwaltung undNutzniessung des Vermögens integrieren sollten.

 

Wie unterstützen reiche Eltern ihreKinder am besten?

Wir sehen häufig, dass diese ihnen zumBeispiel beim Kauf einer Wohnung helfen, in die Weiterbildung oder in Start-upsdes Nachwuchses investieren. Das halte ich für sinnvoll, wenn es finanzielldrinliegt. Dabei sollte nicht vergessen werden, alle Nachkommen möglichstgleich zu behandeln.

 

Das Bild des reichen Erbschnösels istweit verbreitet. Zu Recht?

Es ist eine Frage der Reife. Dass jemandmit 30 Jahren noch über die Stränge schlägt, ist sehr selten. Dass sich18-Jährige aus gutem Haus ein protziges Auto ausleihen oder im Ausgang mitteurem Alkohol angeben, kommt aber sicher vor. Doch Angeber gibt es auch imMittelstand. Es fällt nur weniger auf.

 

Finanziell sind diese aber sehr andersgestellt. Dass so viel Geld vererbt wird, vergrössert die gesellschaftlichenUnterschiede.

Das ist ein kritischer Punkt. Was dasEinkommen angeht, ist die Schere in der Schweiz nicht besonders weit geöffnet.Beim Vermögen hingegen sehr. Die Rendite aufs Kapital wächst schneller als dasWirtschaftswachstum. Ein Mittelständler ohne Vermögen kann davon nichtprofitieren.

 

Immer mehr der Reichsten sind Erben,auch in der Schweiz. Finden Sie das ein Problem?

Für den Zusammenhalt des Landes ist es eineHerausforderung, wenn immer mehr das Gefühl bekommen, dass die Reichsten nichtsfür ihren Erfolg geleistet haben. Die Schere sollte nicht immer weiterauseinandergehen. Vermögende können sich zum Beispiel philanthropischengagieren. Viele unserer Familien machen das, zum Teil mit hohen Beträgen. Einwesentlicher Teil unserer Kunden setzt 10 bis 20 Prozent seines Vermögens inStiftungen oder Impact Investments, also Anlagen mit positivemgesellschaftlichem Einfluss, ein.

 

Dennoch sehen viele die Vermögendenkritisch.

Vermögende Familien werden häufigstigmatisiert. Bei Unternehmern und verantwortungsbewussten Investoren kann ichdas nicht nachvollziehen. Sie schaffen Arbeitsplätze und übernehmenVerantwortung.

 

Ende November stimmen wir über dieJuso-Initiative ab, die Erbschaften über 50 Millionen Franken zu 50 Prozentbesteuern will. Was halten Sie davon?

Die Vorlage ist viel zu extrem. In denGesprächen für unser Buch haben wir jedoch festgestellt, dass ein gewisserParadigmenwechsel stattfindet. Viele reiche Erben sind heute offener gegenübereiner Erbschaftssteuer als die vorangehende Generation. Gut ein Drittel hatgesagt, dass es für sie Sinn ergeben würde, 3 bis 4 Prozent Erbschaftssteuer zubezahlen. Jemand mit französischem Hintergrund fand auch 10 Prozent in Ordnung.

 

Das würde an der generellenVermögensungleichheit wenig ändern.

Das stimmt. Eine Annahme der Initiativekönnte aber das gemeinnützige Engagement der Vermögenden schmälern. Ich fändees besser, wenn die Politik, die Wirtschaft und die Personen, die es betrifft,gemeinsam nach Lösungen suchen würden. Diese dürften insbesondere dieWeitergabe von Firmen nicht gefährden.

 

Frei nach Bismarck schafft die ersteGeneration das Vermögen, die zweite verwaltet es, die dritte studiertKunstgeschichte und die vierte verkommt. Korrekt?

Über die dritte Generation herauszukommen,ist tatsächlich nicht einfach. Oft fehlen der Schwung und der Unternehmergeist,wenn man in den sicheren Hafen eines Vermögens hineingeboren wurde. Aber esgibt Ausnahmen.

 

Beim Übergang von einer Generation zurnächsten kann nicht nur Schwung verloren gehen, sondern oft kommt es auch zuKonflikten. Wie verhindert man als reiche Familie einen Erbstreit?

Indem man vorausplant. Dabei braucht esTransparenz für alle Familienmitglieder: Wie gross ist das Vermögen? Woherkommt es? Wer hat wirklich Interesse daran, die Firma und das Vermögen zuübernehmen? Wichtig ist auch, gemeinsam festzulegen, was die Werte der Familiesind und was der Zweck des Vermögens ist. Das sollte man schriftlichfesthalten. Auch dann wird es noch Differenzen geben, aber zumindest kennt mandie gemeinsame Richtung.

 

Man zieht den Erbstreit sozusagen vor?

Das kann man so sagen. Aber Diskussionen umdas Vermögen sind einfacher, wenn die Eltern noch leben. Ausserdem empfehlenwir, dass sich nur Blutsverwandte an den Erbgesprächen beteiligen.

 

Wieso das?

Mischen sich die Partnerinnen und Partnerein, kann das eher zu Konflikten führen. Rasch kommt die Frage auf, mit welchemRecht sie mitreden, da sie nicht direkt von den Eltern abstammen.

 

Wie leiten Sie so ein Gespräch? Das mussteilweise intensiv ablaufen.

Absolut. Da laufen schon mal Personen mitrotem Kopf aus dem Raum. Viele Familien haben eingespielte Muster. Da könnenwir als neutrale Aussenseiter helfen. Wir schauen etwa, dass alle gleich vielRedezeit erhalten. Wenn dann auf einmal der schweigsame Sohn oder die Tochteraus sich herauskommt, sind das die glorreichen Momente meines Berufs.

 

Die Generationen ticken teils sehrunterschiedlich. Wie vermitteln Sie da?

Extrem wichtig ist die Anerkennung für dieSituation der anderen Generation. Dabei kann eine Übung helfen. Die Jungenstellen sich vor, wie das Aufwachsen für ihre Eltern war. Wie war diewirtschaftliche Situation, welche Möglichkeiten hatten sie? Die Eltern machendasselbe für die Kinder. Danach präsentieren sie sich die Resultate. So schafftman Verständnis und räumt Vorurteile aus dem Weg.

 

Würden Sie solche Gespräche auchjemandem empfehlen, der statt 100 Millionen nur 100’000 Franken vererbt?

Absolut. Mehr Vermögen macht das Vererben jedochkomplexer, weil es oft um Firmen, Immobilien und so weiter geht. Aber letztlichstehen hinter jedem Vermögen nur Menschen.

Zum Artikel: Erbschaftssteuer: Was sagen Reiche dazu? | Tages-Anzeiger

Jorge Frey

Head Family Governance, Senior Partner